Archive → September, 2010
Kein Verbot für Streiks gegen kirchliche Arbeitgeber, die Tarifverträge anwenden
Das Arbeitsgericht Hamburg hat der Gewerkschaft Marburger Bund nicht generell verboten, in Mitgliedseinrichtungen des kirchlichen Arbeitgeberverbandes VKDA-NEK zu streiken. Eine auf das Verbot von Streikaufrufen und Streiks gerichtete Klage des VKDA-NEK blieb erfolglos.
Sind die Arbeitsbedingungen von kirchlichen Einrichtungen wie im Falle der Mitgliedseinrichtungen des VKDA-NEK tariflich geregelt, können weder das verfassungsrechtlich geschützte Selbstbestimmungsrecht der Kirche und ihrer Einrichtungen noch der Grundsatz der Arbeitskampfparität ein generelles Streikverbot rechtfertigen.
Das Recht der Gewerkschaften, zum Streik aufzurufen und Streiks durchzuführen, gehört zur Tarifautonomie und ist durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt. Dieses Recht kann einer Gewerkschaft jedenfalls dann nicht unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirche genommen werden, wenn es um Streiks in kirchlichen Einrichtungen geht, in denen die Arbeitsbedingungen durch (kirchliche) Tarifverträge geregelt werden. Denn erst durch das Recht zum Streik wird ein Machtgleichgewicht zwischen Gewerkschaft und dem Verhandlungspartner auf Arbeitgeberseite hergestellt, das Tarifvertragsverhandlungen “auf Augenhöhe” ermöglicht.
Zu einer anderen Bewertung führt auch nicht, dass die kirchlichen Arbeitgeber der Gewerkschaft im vorliegenden Fall den Abschluss einer Schlichtungsvereinbarung angeboten haben, mit denen sich die Arbeitgeber für den Fall des Scheiterns der Tarifverhandlungen einer Zwangsschlichtung durch einen neutralen Schlichter unterwerfen. Ein durch Zwangsschlichtung erzielter Tarifvertrag, der aufgrund des Votums des Schlichters auch gegen den Willen einer Tarifpartei zustande kommen kann, steht einem Tarifvertrag, der am Ende einer Tarifauseinandersetzung von gleich starken Verhandlungspartnern einvernehmlich abgeschlossenen wird, nicht gleich.
Auch der Grundsatz der Kampfparität rechtfertigt ein Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen nicht. Zwar genießt die Entscheidung der kirchlichen Arbeitgeber, aufgrund ihres christlichen Selbstverständnisses auf Aussperrungen zu verzichten, grundrechtlichen Schutz. Der Aussperrungsverzicht kann jedoch nicht das generelle Verbot von Streiks nach sich ziehen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Kampfmittel der Aussperrung außerhalb des kirchlichen Bereichs nur dann zulässig ist, wenn aufgrund einer übermäßigen Kampfmaßnahme auf Arbeitnehmerseite das Kräftegleichgewicht zu Gunsten der Arbeitnehmer zu kippen droht. Nur in den Einzelfällen, in denen außerhalb des kirchlichen Bereichs Aussperrungen zulässig wären, kann nach dem Grundsatz der Kampfparität ein Streikverbot erwogen werden. Ein generelles Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen, die Tarifverträge anwenden, scheidet aus.
Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 01.09.2010, Aktenzeichen 28 Ca 105/10
Regelung zur Altersgrenze im Manteltarifvertrag der Hamburger Hochbahn AG unwirksam
Das Arbeitsgericht Hamburg hat der Klage eines Mitarbeiters der Hamburger Hochbahn AG stattgegeben. Der Mitarbeiter hatte sich gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses wegen Erreichens der tariflichen Altersgrenze gewendet.
Die Regelung aus dem Manteltarifvertrag der Hamburger Hochbahn AG, derzufolge ein Arbeitsverhältnis in dem Monat endet, in dem der Mitarbeiter das 65. Lebensjahr vollendet, ist unwirksam. Die starre Altersgrenze verstößt gegen das gesetzliche Diskriminierungsverbot wegen Alters gemäß §§ 1, 7 Abs. 1 AGG. Der Hamburger Hochbahn AG ist es in dem Verfahren nicht gelungen, Gründe anzuführen, die die Altersgrenzenregelung rechtfertigen.
Grundsätzlich kann die tarifliche Regelung einer Altersgrenze durch rechtmäßige Ziele, insbesondere durch sozialpolitische Ziele, gerechtfertigt sein. Dies setzt voraus, dass die Altersgrenze ein geeignetes und erforderliches Mittel ist, um diese Ziele zu erreichen.
Die Hamburger Hochbahn AG hat mit der „Förderung der Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen“ und der „Leistung eines Beitrags zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit“ zwar legitime Ziele genannt. Sie hat aber nicht begründet, warum diese Ziele in ihrem Unternehmen (nur) durch eine starre Altersgrenze erreicht werden können.
Insbesondere hat die Hamburger Hochbahn AG nicht ausgeführt, wodurch sichergestellt ist, dass die Stellen, die durch die Altersgrenzenregelung frei werden, neu besetzt werden. Die Besetzung der freien Stellen ist aber Voraussetzung dafür, dass die angeführten sozialpolitischen Ziele erreicht werden können (Eignung der Maßnahme). Zudem fehlt es an einer Auseinandersetzung der Hamburger Hochbahn AG mit der Frage, ob nicht auch ohne eine starre Altersgrenzenregelung eine ausreichend große Zahl der rentenberechtigten Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz aufgeben würde, sodass die angeführten beschäftigungspolitischen Ziele erreicht werden könnten (Erforderlichkeit der Maßnahme).
Mit der Begründung seiner Entscheidung weicht das Arbeitsgericht von einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2008 ab (BAG, 18.06.2008, Az. 7 AZR 116/07). Denn anders als das Bundesarbeitsgericht verlangt es – unter Berufung auf die Rechtsprechung des EuGH (EuGH Age Concern England 05.03.2009, C–388-07; EuGH Hütter 18.06.2008, C-88/08) – eine einzelfallbezogene Begründung dafür, warum die tarifliche Regelaltersgrenze geeignet und erforderlich ist, um legitime Ziele zu erreichen.